Portfolio

Vincent Munier

Vincent Munier

Text
Frédéric Rein
Erscheinungstermin
03.12.2015

Vincent Munier hat sich auf Tierfotografie spezialisiert. Seine anmutigen, oft im Hohen Norden entstandenen Aufnahmen machen den Franzosen zu einem der begabtesten Fotografen seiner Generation. Porträt eines Bildpoeten.

Vincent Muniers Erinnerungen sind voller wilder Tiere. Der 39-jährige Naturfotograf lässt den Betrachter an seinen Emotionen teilhaben, indem er ihn mit einer Art freudiger Wehmut durch dieses grosse Bestiarium führt. Seine ungewöhnlichsten Aufnahmen sind ihm auf der kanadischen Insel Ellesmere gelungen. Dort hat Ende 2013 eine Meute Polarwölfe seine Wege gekreuzt. „Ich habe eine halbe Stunde lang einen Tagtraum erlebt“, sagt der erste Mensch seit 25 Jahren, dem es vergönnt war, die seltenen Tiere zu fotografieren. „Es war mein bisher schönstes Erlebnis.“ Hinter diesem Meisterwerk der Fotografie stecken aber nicht nur Zufall und Glück. Munier hielt sich dreimal einen Monat in dieser abgeschiedenen Region auf und musste Temperaturen von bis zu -47 °C aushalten. „Die Wölfe verkörpern die Wildnis. Einer hat an meinem Stiefel geknabbert und an meiner Hose gezogen, um mich herauszufordern, vielleicht wollte er aber auch nur spielen. Ich hatte keine Angst, denn Wölfe greifen gesunde Menschen nicht an.“ Im April ist der Fotograf ein viertes Mal auf Ellesmere zurückgekehrt und bekam erneut ein paar Polarwölfe zu Gesicht. Einem Eisbären, seinem grössten Schreckensgespenst, ist er hingegen nie begegnet.
Für seine Furcht vor den Zotteltieren gibt es einen Grund. Als er im Jahr 2005 auf der Suche nach Braunbären durch die russische Halbinsel Kamtschatka reiste, wurde er in seinem Zeltlager von einem der dort lebenden 10’000 Exemplare überrascht. „Er ist sicher zwanzig Minuten um mich herumgestrichen und kam dabei immer näher. Da ich kein Gewehr dabei hatte, habe ich ihm eine Rauchgranate vor‘s Maul gehalten und bin sofort ins Wasser gesprungen, damit er meine Spur nicht aufnehmen konnte. Erst am nächsten Tag konnte ich mein Material holen.“

Einsiedlerdasein
Drei Jahre später hatte er ein weiteres denkwürdiges Erlebnis. Das Wasserflugzeug, das ihn nach Barren Lands in Kanada bringen sollte, wo er die Wanderung der Karibus beobachten wollte, landete in einer Tanne. Zu allem Übel schnappte sich ein Grizzli seine Vorräte und ein Sturm zog auf. Das Unwetter setzte das Stromaggregat und das Satellitentelefon ausser Betrieb. Als wäre das nicht schon Pech genug, trieb sich in der ersten der drei Wochen ein zweiter Grizzli ganz in der Nähe seines Lagers herum. Der Naturliebhaber nahm es mit Fassung: „Das ist nun mal die Natur. Man ist vor nichts sicher.“ Seinen Drang, zu weiteren unwegsamen Orten vorzudringen, kann dieses Bewusstsein aber nicht dämpfen. Er möchte gerne Schneeleoparden und sibirische Tiger vor die Linse bekommen. Trotzdem sei er kein Hitzkopf, betont er. „Ich stelle mich aber an den einsamsten Orten der Welt, wo die grossen Raubtiere leben, die mich so faszinieren, selbst auf die Probe. Indem ich meine Komfortzone verlasse und mit der Natur in Einklang lebe, lasse ich mich auf eine persönliche, meditationsähnliche Suche ein. Deshalb bin auch allein unterwegs, wie ein Einsiedler mit Ski und Schlitten.“

„Ich bin nicht vom Fotografieren besessen“
Diese innere Suche weckt Erinnerungen an seine Kindheit in den Wäldern der Vogesen, wo er Hütten baute, in denen er sich auf die Lauer legte. Mit knapp zwölf Jahren erhielt er eine Fotokamera geschenkt. „Trotzdem bin ich nicht vom Fotografieren besessen“, hält er fest. „Wenn ich das nötige Talent gehabt hätte, wäre ich lieber Maler geworden, denn ich träume von den Fotos, bevor ich sie aufnehme und es gibt Momente, die ich nicht einfangen kann, auch wenn ich sie erlebe.“
Dennoch übt Munier die Fotografie mit grosser Leidenschaft aus. Sie ermöglicht es ihm, durch die Welt zu reisen. Jetzt gerade hält er sich im Rahmen eines vom französischen Regisseurs Luc Jacquet geleiteten Projekts über Kaiserpinguine in der Antarktis auf. „Eine meiner ersten Reportagen habe ich auf der japanischen Insel Hokkaido gemacht. Ich habe dort die Parade der Kraniche im Schnee fotografiert“, erinnert er sich. Seine Aufnahmen wurden am BBC Wildlife Wettbewerb 2000 ausgezeichnet. Mit diesem Preis gelang ihm der Durchbruch. Mittlerweile ist der Franzose einer der begabtesten Tierfotografen der Welt. In seinen Bildern spiegelt sich der Einfluss der japanischen Maler, die ihn noch immer inspirieren. Wie sie schafft er es, uns seine Emotionen mit einer sanften, poetischen Bildsprache zu vermitteln.

Arctique, Vincent Munier, erschienen im Oktober 2015 im Kobalann Verlag

www.vincentmunier.com | www.kobalann.com