Portfolio

Alessandra Meniconzi

Alessandra Meniconzi

fotografische Zeugnisse
Text
Frédéric Rein
Copyright
Alessandra Meniconzi
Erscheinungstermin
17.10.2015

Die Schweizer Fotografin reist an die abgeschiedensten Orte der Welt, wo sie vom Aussterben bedrohte Volksstämme aufsucht. Sie dokumentiert ihren Alltag, um die Erinnerung an sie wachzuhalten.

Alessandra Meninconzis künstlerische Ader ist in einem Wald aus Tisch- und Stuhlbeinen entstanden. Damals war sie zwei Jahre alt. „In diesen Underground-Nischen habe ich die Erwachsenenwelt aus einer märchenhaften Perspektive wahrgenommen. Ich stellte sie mit spindeldürren Beine und überdimensionierten Köpfen dar“, erinnert sich die gebürtige Luganesin amüsiert. Während ihres Grafikstudiums verflog die Begeisterung der Tessinerin für Design allerdings. Sie fühlte sich in dieser Welt der wechselnden Geometrie aus Rastern, Linien, Berechnungen und Massen eingeengt. „Ich dachte wehmütig an die Zeit zurück, in der ich meine Farbstifte über weisse Blätter gleiten liess“, erklärt sie. Kaum hatte sie ihr Diplom in der Tasche, beendete sie ihre Karriere als Grafikdesignerin. Sie gab ihrem künstlerischen Schöpfungsdrang nach und betätigte sich als Comic- und Pressezeichnerin. „Ich hätte mich dort bestimmt entfaltet, wenn mir mein Bruder nicht eines Tages einen Fotoapparat geschenkt hätte“, sagt sie. „Es war Liebe auf en ersten Blick. Die Kamera ist zu meinem treuen Reisebegleiter, zum Saft meines Lebens geworden.“ Das ist jetzt rund zwanzig Jahre her. Seither bringt sie ihre Wanderlust und ihre unstillbare Neugier in immer neuen Fotoreportagen und Bildbänden zum Ausdruck. Interview mit einer Künstlerin, die sich selbst als „bescheidene Lernende“ sieht.

Ihre erste Reise ausserhalb Europas führte Sie nach Kenia. Sie waren damals 20 Jahre alt. Seither zieht es Sie immer wieder in die entferntesten Regionen der Welt, nach Asien oder zu den arktischen Gletschern. Gibt es für all diese Reisen einen gemeinsamen Nenner?
Mich ziehen vor allem die Menschen an. Ich versuche enge Bande mit vom Aussterben bedrohten Volksstämmen zu knüpfen, um so getreu wie möglich über ihre Lebensweise zu berichten. Ein guter Fotograf muss ein Botschafter der Menschheitsgeschichte sein. Ich verstehe die von mir dokumentierten intakten Landschaften und Kulturen als Zeitzeugen. Meine Aufnahmen sollen zu Überlegungen über eine Welt anregen, in der echter Reichtum und Schönheit noch aus der Liebe zur Erde entstehen. Die Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ist für mich von grundlegender Bedeutung. An Orten, an denen die Völker sich extremen Klimabedingungen angepasst haben und im Einklang mit dem Rhythmus der Natur leben, kommt sie besonders deutlich zur Geltung.

Demnach müssten auch die Alpen einen besonderen Platz in Ihrem Herzen haben?
Die Alpen und die Schweizer Berge im Allgemeinen sind fantastisch. In diesen Regionen gibt es Orte, die intakt geblieben sind und von Leuten bewohnt werden, die die Natur respektieren. Ich habe ihnen Kalender, Postkarten und einige Artikel gewidmet. Ende Jahr soll zudem ein Buch über die Schweiz erscheinen.

In Ihren Fotos und Ihren Aussagen ist Wehmut zu spüren. War unsere Welt früher besser?
Es ist keine Wehmut. Ich bin eher enttäuscht darüber, was der Mensch dem Planeten und somit sich selbst antut. Ich versuche das Schöne zu zeigen, um positiv zu bleiben, denn je mehr Negatives man sieht, desto negativer wird man selbst.

Was haben Ihnen die Begegnungen ganz persönlich gebracht?
Sie haben mich gelehrt, mich den verschiedenen Kulturen und Situationen anzupassen, mich für das einzusetzen, was mir wichtig ist, und die schönen Seiten des Lebens zu schätzen. Jedes Foto, jede Reise ist eine wertvolle Erfahrung, eine Möglichkeit, dazuzulernen und sich zu verbessern. Der britische Schriftsteller Bruce Chatwin sagte einst, dass Reisen den Geist nicht nur erweitere, sondern ihn auch forme. Ich bin der gleichen Meinung.

Hat sich Ihr fotografisches Vorgehen im Laufe der Jahre verändert?
Geändert hat sich meine Art, die Welt zu sehen. Ich kratze den obersten Lack ab, um tiefer zu dringen. Allerdings bedaure ich, dass ich nur 20 Prozent meiner Zeit fürs Fotografieren aufwenden kann und 80 Prozent dem Verkauf, dem Marketing und ähnlichen Dingen widmen muss. Unser Beruf steckt in der Krise und es erfordert eine Menge Durchhaltevermögen, um davon leben zu können. Ein gutes Bild benötigt noch immer keine Worte, trotzdem muss man heute darüber sprechen und sich selbst gut verkaufen können und das ist nicht meine Stärke.

Trotzdem sind Sie international bekannt. Wie würden Sie Ihre Handschrift beschreiben?
Ich lasse mich vom Instinkt leiten, von den Emotionen des Augenblicks. Was meinen Bildern ihren Charakter verleiht, ist in erster Linie das Licht. Fotografieren ist wie Zeichnen mit Licht.

Gibt es einen fotografischen Traum, den Sie noch verwirklichen möchten?
Genug Geld zu verdienen, um meine Dokumentationsarbeit über die naturverbundenen Völker fortsetzen zu können. Diese Kulturen und Orte sind sehr fragil und müssen sich gegen den Modernisierungsdruck wehren. Ich wünsche mir, dass ihr archaischer Lebensrhythmus überlebt und mit der modernen Welt in Harmonie bestehen kann.

www.alessandrameniconzi.com