Socorro

Ball der Rochen

Text
Claude Hervé-Bazin
Copyright
Franco Banfi
Erscheinungstermin
16.03.2021
Socorro
Socorro
Socorro

Nur wenige haben schon von ihnen gehört. Noch viel seltener sind Zeitgenossen, die das Glück hatten, einen Fuss oder eine Schwimmflosse auf die Revillagigedo-Inseln zu setzen. Sie befinden sich mitten im Pazifik, rund 600 Kilometer vor der mexikanischen Küste, und wurden von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt. Besonders schützenswert ist die Insel Socorro mit ihren in den Tiefen des Meeres lebenden Tierarten.

Massentourismus ist hier ein Fremdwort. Eigentlich kennt man auf dem Archipel überhaupt keinen Tourismus. Socorro wird von keinem einzigen Linienflug bedient. Wer dorthin will, muss eine lange Schiffsreise vom Hafen in Cabo San Lucas an der Spitze von Baja California auf sich nehmen. Am besten fährt man zwischen November und Mai auf die Insel, wenn das Wetter und das Meer mild, die Temperaturen aber mit 22-25 °C etwas tiefer sind als im Sommer (28-29 °C).

Die Liveaboard braucht eine ganze Nacht für die Überfahrt. Am Morgen kündigt der unverkennbare Umriss der Fregatten das nahende Land an und schon bald tauchen am tiefblauen Horizont einsam und verlassen die schwarzen und kahlen Felsen der Insel auf. Ein Weissbauchtölpel setzt sich auf die Reling und beäugt die Gäste mit durchdringendem Blick. An Land ist kein Lebenszeichen zu erkennen. Die einzigen Bewohner sind die Angestellten des Marinestützpunktes der mexikanischen Armee.

Aus dem Meer gestiegen

Socorro ist wie alle Revillagigedo-Inseln vulkanischen Ursprungs. Bei jedem Ausbruch auf dem Meeresgrund quoll Magma durch Spalten in der Erdkruste und schichtete sich auf, bis der Gipfel des Berges eines Tages durch die Wasseroberfläche stiess. Dieses Neuland hat in kleinem Rahmen die Entstehung unseres Planeten nachgespielt. Auf der erkalteten Lava wuchsen erste Farne, deren Sporen von den Höhenwinden herangetragen wurden. Weitere Pflanzen folgten, angeschwemmt von der Flut oder unbeabsichtigt von einem Meeresvogel auf der Durchreise abgelegt. Einige Vögel begannen auf der Insel zu nisten. Allmählich entstanden verschiedene Ökosysteme und entwickelten sich unter diversen äusseren Einflüssen weiter. Kein Wunder, sprechen einige Biologen von den „mexikanischen Galapagos“!

Faszinierende Unterwasserwelt

Über dem Wasser ist die Insel an Kargheit kaum zu überbieten, ganz anders unter Wasser. Socorro ist in Taucherkreisen für Big Animal Encounters, wie die Begegnungen mit den grössten Meerestieren genannt werden, weltberühmt. Rund zwanzig Haiarten tummeln sich in den Gewässern, darunter Walhaie und Hammerhaie. In der Paarungszeit sind sie rudelweise unterwegs. Bei praktisch jedem Tauchgang sieht man schnelle Schatten mit weissen Flossen vorüberhuschen, die Höhlen erkunden oder gierig um Schnapper-, Bernsteinmakrelen- oder Meerbrassenbänke kreisen. Delfinfamilien kennen keine Furcht, sondern nähern sich den Tauchern neugierig. Im Februar und März gesellen sich Buckelwale und andere Walarten dazu.

Die berühmtesten Inselbewohner sind aber die Mantarochen. Viele erreichen hier die Spannweite eines Kleinflugzeugs (bis 7 m!). Zu Dutzenden gleiten sie aus unzugänglichen Verstecken und lassen sich zur Reinigung knapp unter der Wasseroberfläche treiben. In einer einzigartigen Symbiose werden sie von Putzerfischen von Parasiten befreit, die sich im Gegenzug den Bauch vollschlagen und sogar zwischen den Kiemen ihrer Grosskunden durchschwimmen. Die kein bisschen schüchternen Rochen bewegen sich nur sehr langsam, fast schwebend fort und schrecken auch nicht davor zurück, mit ihren Riesenflossen die Taucher zu streifen. Einige scheinen den Kontakt gar zu suchen, indem sie sich direkt über den Menschen positionieren. Ihr Verhalten ist nicht ganz uneigennützig, denn offenbar geniessen sie das angehnehme Kitzeln der Luftblasen auf ihrem Bauch. Kaum zu glauben, dass die Unterart der Mantarochen, die auf Socorro vorkommt, theoretisch die furchtsamere ist...

www.liveaboard.com

Socorro
Socorro
Socorro